Kontinental-Premiere. Shirley Bassey, Udo Lindenberg, Fritz Wepper und weitere echte und vorgebliche Zelebritäten werden diesen Freitag an die Pheripherie der Stadt Frankfurt aufbrechen. Unter ihnen: ein unbestrittener Weltmeister seines Faches, nämlich Sir Andrew Lloyd Webber, der für die spektakulärste Musical-Premiere des Jahres verantwortlich ist. Mit 130 Millionen Schilling Aufwand wird die kontinentale Premiere seines Erfolgsmusicals "Sunset Boulevard" zelebriert. Das Thema ist aus dem gleichnamigen Film geläufig: Der alternde Stummfilmstar Norma Desmond (Amerikas Ex-Rockröhre Helen Schneider) träumt sich ein in der Realität unvollziehbares Comeback und verstrickt sich in eine hoffnungslose Beziehung mit dem arbeitslosen jungen Drehbuchautor Joe Gillis (Uwe Kröger). Bis die Situation in einer Showdown-artigen Katastrophe eskaliert. Das Opus bilanziert bereits mit sieben Tony-Awards.
Neubeginn für den Tod. Für Uwe Kröger--er versenkte bis September vergangenen Jahres als "Tod" in "Elisabeth" zahlreiche Teenager auf den Stehplätzen des Theaters an der Wien in pubertätsbedingte Ohnmacht--ist "Sunset Boulevard" die bereits dritte Großproduktion in nur sechzehn Monaten. Denn was Prominenten-Astrologin Eva Vaskovic-Fidelsberger dem Schütze-Geborenen beim Abschiedsfest im Marchfelderhof vor flennenden Minderjährigen prophezeite, ist eingetroffen: Die "Karriere in atemberaubendem Tempo" (Fidelsberger) eskalierte im vergangenen Dezember mit der Hauptrolle im Vietnam-Musical "Miss Saigon" in Stuttgart. Der Part des Joe Gillis in "Sunset Boulevard"--"die größte männliche Musical-Rolle, die dieses Jahr vergeben wurde", wie Kröger-Agentin Marika Lichter gern betont--ist für Kröger mehr als "die Realisierung eines jahrelangen Traums". Marika Lichter, einst selbst Musical-Sängerin und seit "Elisabeth" für die Hausse der Kröger-Aktie verantwortlich: "Sein Marktwert ist im letzten Jahr für Auftritte bei Galas um das Dreifache gestiegen, für "Sunset Boulevard" verdient er doppelt soviel wie am Theater an der Wien."
Neue Nobel-Heimat. So hat sich das Musical-Juwel eine passende Fassung gesucht: In seiner neuen Heimat Wiesbaden--zehn Minuten vom "Sunset Boulevard" im Rhein-Main-Theater entfernt--logiert Teenie-Idol Kröger in einem Luxus-Bezirk, dessen Name wegen drohender Fan-Attacken nicht genannt werden darf (in Wien klingelten ihn die Hardcore-Verehrerinnen sogar aus dem Bett oder wühten in Krögers Mülltonnen nach allfälligen Devotionalien).
In Wiesbaden könnten sie zum ersehnten Kehricht gar nicht erst vordringen: Im Stundentakt patrouilliert die Polizei zwischen den gepflegten Parkanlagen der Villen, um die ansässigen Millionäre vor inkommodierenden Gesellen zu schützen. Inmitten zahlreicher Protz-Paläste mutet Krögers Behausung bescheiden an: Er bewohnt den 80-Quadratmeter-Trakt eines Zweifamilienhauses, seine Habe, die von Wien über Stuttgart nach Frankfurt reiste, ist noch in Kartons verpackt. Nur ein Versace-Sofa (Neupreis: 154.000 Schilling), das mit der Wohnung angemietet wurde, läßt vermuten, daß hier ein überaus wohlhabender Herr logiert. Dessen Luxusbedürfnisse manifestieren sich im verborgenen: So flog die Wiener Friseurin Monika Potucek vor kurzem nach Wiesbaden ein, um des Meisters Blond zu façonnieren (sie tat dies bereits unter reger öffentlicher Anteilnahme, als sie Krögers "Elisabeth"-Mähne vor versammelter Presse zum GI-Schnitt kappte).
Streß. Nach zwei Probenmonaten, die er den "Sunset Boulevard" hinauf- und hinunterhetzte, sind ihm diese Extras zu gönnen. Um einen Monat früher aus "Miss Saigon" aussteigen und die fehlenden Vorstellungen vorzeitig einspielen zu können, verzichtete er auf den kompleten Urlaub dieses Jahres. "Und die Proben zu "Sunset Boulevard" waren extrem hart: zehn Stunden pro Tag--und ich stehe in dem Stück nonstop auf der Bühne."
Erschwerend: Das Haus befand sich noch vor kurzem im Zustand der Baustelle. Kröger: "Am Anfang lag unglaublich viel Staub in der Luft, schrecklich für die Stimme, außerdem löste der scharfe Geruch der frischen Farben bei manchen Schauspielern eine Allergie aus. Und am ersten Tag hatten wir bei der Probe nichts zu essen. Man hatte das Catering für das Ensemble vergessen."
Zumindest die Rolle verheißt üppige Zeiten: "Als Joe Gillis bin ich der Erzähler des ganzen Stücks. Ich werde auch vom Schauspielerischen besonders gefordert, und das beginnt mich immer stärker zu interessieren. Ich würde auch gern einmal eine große Filmrolle spielen." Kleinere Auftritte in Serien (z. B. als Aids-Aufklärer in "Kommissar Rex") sind die ersten Seitensprünge in ein ausbaufähiges neues Fach.
Ein Jahr Frankfurt. Zunächst ist Kröger allerdings beim Musical zwangsseßhaft: Er ist in Niedernhausen für ein Jahr vertraglich gebunden, das wöchentliche Pensum beträgt acht Vorstellungen. Daß sich dieser Zustand aus allfälligem Publikumsmangel entschärfen könnte, ist nicht zu erwarten: Die Produktion ist bis März zu 90 Prozent ausverkauft. PR-Auftritte (wie Helen Schneiders Gig in "Wetten, daß...?") halfen der Production, die auch durch üppige Ausstattung reüssiert: Eine 14 Tonnen schwere Treppe dominiert Norma Desmonds Villa. Sie kann hydraulisch gehoben werden, unter ihr ist der komplette zweite Schauplatz fertig aufgebaut. Allein die Kostüme kosteten 14 Millionen Schilling. Das Abendkleid der welken Diva wurde in dreimonatiger Handarbeit gefertigt.
Für pubertierende Wiener Enthusiasten fällt nur spärliches Licht inst Dunkel der Kröger-losen Zeit: In der gleichnamigen ORF-Charity am 24. 12. ist er am Werk, als Notration ist eine CD mit Musical-Melodien in Vorbereitung.
In Deutschland ist ein derart dimensionierter Kult unüblich. Kröger: "Hier kommen die Leute mit Bussen für einen Tag angereist. Selten, daß sich so ein Naheverhältnis wie in Wien bildet, wo manche bis zu 100mal in der Vorstellung waren."
Als Tod lebt es sich in Wien eben bekannt kommod.
